Nikolaus Lenau



                   Niagara


                   Klar und wie die Jugend heiter,
                   Und wie murmelnd süßen Traum,
                   Zieht der Niagara weiter
                   An des Urwalds grünem Saum;
                   
                   Zieht dahin im sanften Flusse,
                   Daß er noch des Waldes Pracht
                   Widerstrahlt mit froher Muße
                   Und die Sterne stiller Nacht.

                   Also sanft die Wellen gleiten,
                   Daß der Wandrer ungestört
                   Und erstaunt die meilenweiten
                   Katarakte rauschen hört.

                   Wo des Niagara Bahnen
                   Näher ziehn dem Katarakt,
                   Hat den Strom ein wildes Ahnen
                   Plötzlich seines Falls gepackt.
                   
                   Erd und Himmels unbekümmert
                   Eilt er jetzt im tollen Zug,
                   Hat ihr schönes Bild zertrümmert,
                   Das er erst so freundlich trug.

                   Die Stromschnellen stürzen, schießen,
                   Donnern fort im wilden Drang,
                   Wie von Sehnsucht hingerissen
                   Nach dem großen Untergang.
                   
                   Den der Wandrer fern vernommen,
                   Niagaras tiefen Fall
                   Hört er nicht, herangekommen,
                   Weil zu laut der Wogenschall.

                   Und so mag vergebens lauschen,
                   Wer dem Sturze näher geht;
                   Doch die Zukunft hörte rauschen
                   In der Ferne der Prophet.


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