Johann Christoph Friedrich von Schiller



                   Die Gunst des Augenblicks


                   Und so finden wir uns wieder
                   In dem heitern bunten Reihn,
                   Und es soll der Kranz der Lieder
                   Frisch und grün geflochten sein.
                   Aber wem der Götter bringen
                   Wir des Liedes ersten Zoll?
                   Ihn vor allen lasst uns singen,
                   Der die Freude schaffen soll.

                   Denn was frommt es, dass mit Leben
                   Ceres den Altar geschmückt?
                   Dass den Purpursaft der Reben
                   Bacchus in die Schale drückt?

                   Zückt vom Himmel nicht der Funken,
                   Der den Herd in Flammen setzt,
                   Ist der Geist nicht feuertrunken,
                   Und das Herz bleibt unergötzt.

                   Aus den Wolken muss es fallen,
                   Aus der Götter Schooß, das Glück,
                   Und der mächtigste von allen
                   Herrschern ist der Augenblick.

                   Von dem allerersten Werden
                   Der unendlichen Natur
                   Alles Göttliche auf Erden
                   Ist ein Lichtgedanke nur.

                   Langsam in dem Lauf der Horen
                   Füget sich der Stein zum Stein,
                   Schnell, wie es der Geist geboren,
                   Will das Werk empfunden sein.

                   Wie im hellen Sonnenblicke
                   Sich ein Farbenteppich webt,
                   Wie auf ihrer bunten Brücke
                   Iris durch den Himmel schwebt,

                   So ist jede schöne Gabe
                   Flüchtig wie des Blitzes Schein;
                   Schnell in ihrem düstern Grabe
                   Schließt die Nacht sie wieder ein.


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